Da kam mir die Erinnerung...
Siegmar Frenzel
Als ich am 6. Februar 2019 in
der Mitteldeutschen Zeitung las, daß am Sachsen-Anhalt-Tag in Quedlinburg eine
Mallet-Lok im Festumzug mitfahren soll, natürlich nicht auf Schienen, sondern
auf einem Tieflader, kam mir die Erinnerung - das hast du doch schon einmal
miterlebt und zwar am 30.06.1979 anläßlich des Stadtjubiläums 750 Jahre
Wernigerode und dem 80-jährigen Jubiläum der Harzquerbahn. Auch da gab es schon
einen sehr schön geordneten historischen Festumzug durch Wernigerodes
Stadtzentrum. Schon damals stark an den Harzer Schmalspurbahnen interessiert,
erfuhr ich natürlich beizeiten von der Teilnahme der Mallet-Lok 99 5901. Seit
dem 75-jährigen Jubiläum der Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn (NWE) im Jahr
1974 trugen die 99 5901 und 99 5903 den ursprünglichen Anstrich in grün und die
ebenfalls ursprünglichen Bezeichnungen NWE 11 und NWE 13. Anläßlich des
Jubiläums wurde auch der noch heute bestehende Traditionszug erstellt, der nach
dem Jubiläum in der Feriensaison im Auftrag des FDGB-Feriendienstes zweimal die
Woche mit Urlaubern nach Benneckenstein fuhr. Dort erfolgte unter anderem die
Versorgung der Urlauber an der Feldküche, was dem Zug den Beinamen
Erbsensuppenzug einbrachte.Gezogen von einer Mallet-Lok (meist die
NWE 13) in grüner Farbgebung war der Zug immer ein Höhepunkt für die Fahrgäste.
Die zweite grüne Lok (NWE 11) diente bei Ausfall der Planlok als Ersatz,
allerdings war sie planmäßig im Selketal im Einsatz. Hier galt es tagtäglich,
insbesondere neben dem alltäglichen Personenverkehr auch den anstehenden
Güterverkehr abzusichern. Die Selketalbahn hatte damals umfangreiche
Transportaufgaben zu erledigen und das alles mit einem sehr alten und
verschleißanfälligen Fahrzeugpark. Dabei sei noch einmal daran erinnert, daß die
Selketalbahn und die Harzquerbahn nach der 1946 erfolgten Demontage der
Selketalbahn und dem später erfolgten Wiederaufbau gleismäßig noch nicht wieder
verbunden war. Diese Verbindung gab es erst ab 1984 wieder. Jede
Fahrzeugumsetzung mußte mit einem Transportwagen über das Regelspurnetz
erfolgen, sei es zu kleineren Reparaturen in die Werkstatt nach Wernigerode oder
bei Grundinstandsetzungen in das damals zuständige Reichsbahn-Ausbesserungswerk
(Raw) nach Görlitz.

Foto (Siegmar Frenzel):Die Malletlok 99
5901 (NWE 11) am28.06.1981 auf einem Transport-wagen in
Gernrode.
Die Teilnahme als besonderes historisches Objekt
der Harzquerbahn war also nicht ganz so einfach und mußte entsprechend
vorbereitet werden. Die 99 5901 mit dem Baujahr 1897, als älteste Maschine noch
im Einsatz, wurde dazu auserwählt und mußte zunächst rundherum auf Hochglanz
gebracht werden. Dann erfolgte der Transport mit dem Fahrzeugtransporter über
das Regelspurgleis nach Wernigerode.Dazu gab es in Gernrode in der
sogenannten Umladung eine speziell eingerichtete Kopframpe, an die der
Transporter herangefahren wurde, damit die Lok aufgerollt werden konnte.In
Wernigerode mußte die Umladung auf den Straßenroller (Culemeyer) vorgenommen
werden. Ein Schild auf der Rauchkammertür wies auf das 80-jährige Jubiläum der
Harzquerbahn hin. Eine rundum aufgelegte Girlande rundete die Ausschmückung ab.Mit
einer Tatra-141-Zugmaschine konnte dann die Einfügung in den Festumzug erfolgen.
Nun sollte es so aussehen, als ob die Maschine unter Dampf stand. Dazu glimmte
in der Feuerbuchse etwas Putzwolle, und ein leichtes Rauchwölkchen stieg aus dem
Schornstein. Auf dem Führerstand war natürlich auch ein "Lokführer", der hin und
wieder das Läutewerk betätigte und den Lokpfiff ertönen ließ. Das geschah über
eine mitgeführte Pressluftflasche. Dieses Schauspiel mußte ich
unbedingt miterleben. Zwei Stunden vorher trat ich die Fahrt von Harzgerode aus
mit meiner Simson S 50 an (einen PKW hatte ich damals noch nicht, aber die
Simson habe ich heute noch) und war rechtzeitig vor Ort. Ich nahm meinen
Fotostandort in der Breiten Straße vor dem Cafe Wien ein, hatte wie immer zwei
Kameras im Rucksack, eine mit Schwarz-Weiß-Film (SW) und eine mit Dia-Film
geladen. Der Umzug begann und es gab viele interessante historische Motive, ich
betätigte fleißig die Auslöser meiner Kameras. Während man das heute unbegrenzt
tun kann, war man damals von der Filmlänge (36 Bilder) abhängig. Es kam, wie es
kommen mußte, der Dia-Film war zu Ende, der Loktransport konnte jeden Moment vom
Markt in die Breite Straße einbiegen. In der Aufregung des schnellen
Filmwechsels rutschte mir auch noch die Filmlasche in die Patrone. Somit war
eine Farbaufnahme nicht mehr möglich. Ich mußte mich nun mit SW-Bildern
begnügen, hatte ich doch keinen weiteren Dia-Film im Rucksack. Der Kaufpreis
eines Dia-Filmes betrug übrigens 8,45 M, ein SW-Film kostete 2,10 M. Trotzdem
war es ein erlebnisreicher Tag, denn solch einen Transport hatte ich damals noch
nicht miterleben können.

Foto (Siegmar Frenzel):Die Malletlok 99
5901 (NWE 11) im Festumzug am 30.06.1979 in Werni-gerode

Foto (Christian Bissel):Fast auf den Tag
genau 40 Jahre später bot sich ein ähnliches Bild, am
02.06.2019 war die Malletlok 99 5903 (NWE 13) Bestandteil des
Festumzuges zum Sachsen-Anhalt-Tag in Quedlinburg.
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